Jeden normalen Morgen war 6:00 Uhr Wecken, sofort Frühsport, dann Morgentoilette und anschließend Frühstücksappell (um die Bestecke zu kontrollieren, etc.), Essen einnehmen. Dann “Betten bauen”, und zwar so die Bettdecke glätten, dass kein Spieß nörgelt.
8:00 Uhr Morgenappell, Abmarsch im Gleichschritt auf die Baustelle. Unsere blaue Plastik-Doppeltasse mussten wir vormittags immer mitführen (2. Frühstück). Jetzt wurde gemauert, geputzt, eingeschalt, Beton gegossen – je nach Auftrag.
10:00 Uhr etwa kam täglich der Schreiber, das ist der Adjutant vom Spieß (einer muss ja lesen und schreiben können) und der GUvD, der Gehilfe des Unteroffiziers vom Dienst mit einer 20-Liter Kanne Milch, vielen Kloben Graubrot und riesigen Hart-Käsebrocken zur Baustelle. Es gab 2. Frühstück! Jeden Tag eineinhalb lange Jahre. Gute Versorgung, Hunger brauchte niemand schieben. Dennoch war das sehr eintönig. Aber besser als nichts!
Mittags wurde zum Essen zurück marschiert. Einrücken in die Kompaniebaracke, waschen, Tasse weg und Teller schnappen, antreten, Teller- und Besteckkontrolle… Dann wurde zur Küchenbaracke, etwa 50m entfernt, marschiert. Hatte Voigel Dienst, geschah dieser Marsch trotz Verbot (laut Dienstvorschrift zur Mittagszeit strikt verboten) sehr oft im “Entengang”. Seine Schikanen zogen sich lange hin, die Zeit dafür ging grundsätzlich von unseren 20min Esseneinnahme ab. Wenn dann bis zu 80 Leute ihren Teller im Vorbeilaufen in ein Fenster der Küchenbaracke hielten, und ihre Portion drauf gekleckst bekamen, um danach in ein zerlumptes, zerrissenes, verschlissenes Essenszelt zu stampfen, war oft für die Letzten kaum noch Zeit das Essen runterzuwürgen. Oftmals setzte sich gerade der letzte Rekrut, da bläkte Voigel schon: “Alles auf, Essen beenden”. Und hatte sichtlich seine Befriedigung, der Sadist, wenn die Letzten ihr Essen wegen Zeitmangel in die Tonne schütten mussten! Wurde nicht sofort Folge geleistet, folgten umgehend weitere Bestrafungen.
Da schnürte sich einem oft der Hals zu und eine nie gekannte Wut stieg auf. Eine Wut auf alle Schikanen und alle Verbrecher die uns hier quälten. Wut auf den Staat, auf die DDR, welche dadurch in ihrem gepriesenen Arbeiter- und Bauernparadies so ihre eigene Jugend erniedrigte. Das hier alles hatte absolut keine Deckung mit unserer bisherigen Erziehung. Ein verlogener Staat im Staat.
So habe auch ich unzählige Male Außenreviere harken müssen, oder das ungeliebte Scheißhaus schrubben dürfen. Ebenso warteten sehr oft Teile der 1.600m Betonstraße zum Kehren. Das besorgten natürlich dann mehrere Sündenböcke gleichzeitig. Die fanden sich aber immer. Manch einer wünschte sich dann eine volle Kalaschnikow!1 Gut, dass wir nie (fast nie) scharf bewaffnet waren!
Nach dem Mittagessen war gewöhnlich Pause bis zur vollen Stunde. Also meist noch 20 Minuten. Die nutzte man dann zum Dösen (oder erledigte Voigels Strafdienste). Doch in unseren Klubraum durfte man erst abends. Taten uns die Buckel vom Schuften weh, war in der Stube die einzige Möglichkeit sich auf seinen Hocker zu setzen. Betten belegen waren tabu. Denn wären da neue Falten hinzu gekommen, undenkbar, dem wäre sofort wieder eine Strafe gefolgt. Ich habe die “Fahne” (NVA) gehasst! Ja, Hassen hat man hier wahrlich gelernt! Der Hass bezog sich meinerseits aber nie auf Leute jenseits der Grenzen…
Bald wurde dann wieder auf die Baustelle marschiert, das waren etwa 500m, und weiter gearbeitet. Immer vom Zugführer oder Unteroffizier überwacht. Den “kompanieeigenen” Offizier für Baudurchführung habe ich nicht ein einziges Mal auf der Baustelle gesehen. Nie in eineinhalb Jahren! Vielleicht hatte der aber ganz andere Aufgaben … Horch, horch. Der dicke Przbyb saß immer in der Kompaniebaracke. Trägheit macht auch fett!
16:00 Uhr war bei Regelarbeitszeit Schluss. Dann wieder in die Unterkunft, waschen und umziehen und antreten zum Appell für das tägliche Stuben- und Revierreinigen sowie die Putz- und Flickstunde.
Unter Voigel wurde nun wöchentlich je Stube ein voller Pappeimer halbflüssiges Bohnerwachs verbraucht (unter Spieß Feri war’s ein Eimer in 6 Monaten). Unsere Bodendielen waren nämlich so rissig und auf Lücke genagelt, dass das Bohnerwachs glatt durchlief, in den Sandboden der Heide. Das Wachs war weg, der Gestank hielt sich ewig. Hielt sich immer!
Mal waren Sachen zu waschen, mal unsere Maschinenpistolen zu reinigen, und das obwohl sie sauber waren. Letztere sollten wir übrigens lieben wie unsere Freundin. Konnte ich nicht nachvollziehen; hatte ich doch nie eine so kalte spröde Freundin kennengelernt, zum Glück auch später nicht!
Dann folgte der schon erwähnte Post-Appell. Diejenigen, die an diesem Tag nicht rausgepickt wurden, hatten nun nach dem Abendessen, kurz vor 19:00 Uhr, Feierabend. Wer dann schnell genug war, konnte einen von geschätzten 25 Stahl-Kunstledersesseln (mehr Stuhl mit Lehnen) ergattern und dem damals noch “Deutschen Fernsehfunk Adlershof” lauschen. Alle übrigen Fernsehwilligen hatten ihren Holzhocker mitzubringen. Der Fernseher mit nur einem Sender im “Klub” war unsere einzige schwarz-weiße Verbindung zur Außenwelt. Der Kanalwähler war durch eine Petschaft (Schnurversiegelung) gesperrt, so konnte keine ARD gesehen werden.
Radios? Undenkbar, die waren strikt verboten. Fotoapparate ebenso, wir hätten ja Radio Luxemburg oder RIAS (Radio Im Amerikanischen Sektor Berlin) hören oder Spionage betreiben können… (Trotzdem wurden mittels einer “Pouva Start”, einem billigen Bakelitt-Apparat, heimlich Fotos in der Stube und vom Donnerbalken geschossen.)
Telefonieren nach außerhalb war für uns unmöglich, aus Ermangelung einer Telefonzelle. Handys waren noch nicht erfunden und die DDR-Telefonanlagen stammten meist noch aus der Kaiserzeit. Privathaushalte hatten in aller Regel damals auch noch keinen Telefonanschluss. Die DDR war erst 21 Jahre alt und die Anmeldung für einen Anschluss dauerte bei Normalbürgern 30 Jahre. Doch wer hatte schon bei Ausbruch des 2. Weltkrieges an eine Anmeldung für ein DDR-Telefon gedacht? Lediglich Briefe konnten geschrieben werden. In dringenden Fällen ging man während des genehmigten Ausgangs zur Post und verschickte teure Telegramme.
Täglich abwechselnd hatte einer von uns Stubendienst. Er musste vor der Nachtruhe die Stube nochmals auskehren und dann bei abendlicher Kontrolle dem UvD Meldung erstatten. Wir alle mussten noch allabendlich auf unserem Hocker ein “Päckchen” bauen. Dazu musste die durchgeschwitzte lange Unterwäsche auf Hockerkanten-Größe 30mal 30 cm gefaltet und darauf platziert werden. Das hatte den “Vorteil”, dass bei nächtlichem Alarm die Unterwäsche noch “schön” kuschelig feuchtwarm war… 22:00 Uhr hallte ein “Kompanie Nachtruhe” durch den Flur und das Licht wurde gelöscht, vorausgesetzt es gab keine Beanstandungen.
In Gedanken wurde dann wieder ein Tag im Gulag Neiden gestrichen.
-
Russische Maschinenpistole. ↩︎