Nach Ende des 2.Weltkrieges wurde nahe Torgau, auf dem jetzigen Bau-stellengelände jahrelang Fundmunition vernichtet. Vieles wurde aber auch nur vergraben. So waren Handschacht-Arbeiten kreuzgefährlich. Überall war noch Leuchtmunition zu finden. Sobald Phosphor-Munition ans Tageslicht befördert wurde und mit Frischluft in Berührung kam, begann alles zu brennen. Während unserer Zeit blieb es aber zum Glück nur bei kleineren Personenschäden, sprich Verbrennungen. Warum aber wurden diese brandgefährlichen Arbeiten nicht nur von Baumaschinen verrichtet? Es wurde wissentlich mit der Gesundheit junger Soldaten gespielt!
Bei der militärischen Ausbildung bin ich selbst einmal im Wald nahe unserer Sturmbahn über etwas großes, glattes Metallisches gerutscht. Nach Inaugen-scheinnahme meinte unser Zugführer, dass keine Gefahr bestand, denn es sei nur eine Panzermine gewesen. Ob noch scharf oder nicht, ich habe keine Ahnung gehabt. Ich war zum Auslösen, falls doch noch scharf, offensichtlich zu leicht… Hurra ich lebe noch…
Die militärische Aufrüstung war in den beginnenden Siebzigern bereits DDR-weit in vollem Gange. Die Westgrenze wurde noch mehr verrammelt, erhielt ab 1969 lückenlos Betonwachtürme verpasst und 1970 begann im Januar der unsägliche Anbau der mörderischen, perfiden Selbstschussanlagen. Es war die Zeit, in der zumindest bei der NVA ununterbrochen vom bevorstehenden 3. Weltkrieg die Rede war. Und der sollte demnächst mit Atombomben vollzogen werden! Möglichst auf westlichem Territorium…
Auf freiem Acker wurde hier bei Neiden ein völlig neues Militärobjekt aus dem Boden gestampft. Das dritte Militärobjekt in und um Torgau! Züllsdorf und die Bunker von Vogelgesang bei Elsnig nicht mitgerechnet.
Die Bunkeranlagen Vogelgesang erstreckten sich allein über mehrere Quadratkilometer. Die wurden von der Wehrmacht gebaut und nach Kriegs-ende restlos gesprengt. Während unserer Zeit waren bereits erste Bunker wieder errichtet.
Wir mussten bei einem Geländemarsch auch einmal quer durchs Vogelgesanger Revier.
Da bekam auch ich einen Eindruck von der ungeheuren Größe der ehemaligen Anlagen. Bis heute entstand dort von Wald verborgen wieder ein riesiges Labyrinth von neuen Anlagen, nur zur Landesverteidigung.
Wären seit 1945 alle volkswirtschaftlichen Mittel in West und Ost nur in den zivilen Aufbau geflossen, wir Deutschen lebten bei halber Arbeitszeit in Saus und Braus…
Der Deutsche, und nicht nur der, spielt aber zu gerne Krieg, selbst in Afrika und Asien, oder verplempert sein überschüssiges Wirtschaftswachstum in die Rüstung…
Hier bei Neiden wurden fünfgeschossige Unterkünfte in Skelettbauweise nur durch Soldaten errichtet. Ebenso ein Stabsgebäude, ein Braunkohleheizhaus mit riesigem Portalkran-Bunker für die damals verbrannte Rohbraunkohle, ein Zellengebäude, ein Med.-Punkt (Medizinischer Stützpunkt) und ein Munitionsbunker.
In späteren Jahren wurden offensichtlich noch etliche Garagenkomplexe gebaut, wohl für motorisierte Einheiten.
In den ersten Tagen hatten wir so viele Eindrücke gleichzeitig zu verarbeiten, wie nie im Leben zuvor. Wir mussten damit klar kommen, erstmals im Leben völlig abgeschottet, erstmals total isoliert von der Außenwelt zu leben. Gleichzeitig begreifen, dass man nun völlig entmündigt ist und noch keinen Freund hat, dem man sich vertrauensvoll öffnen kann. Wir alle mussten uns ja erst kennenlernen.
Eine Ausnahme machten aber wir Quedlinburger Rekruten, obwohl auch wir uns bei weitem noch nicht alle kannten. Wir waren in einer so großen Vielzahl eingezogen nach Neiden, gegen uns hätten beispielsweise einzelne Thüringer kaum eine Chance gehabt. Haben uns aber immer, fast immer vertragen.
In meiner Stube lagen noch Hans-Jürgen B., mit welchem ich schon 3 Lehrjahre gemeinsame verbrachte und Udo W.. Auch er ein Maurer aus unserem Wohnungsbaukombinat. Er wurde mir in den 18 Monaten zum besten Freund und wir beide haben auch nach der Armeezeit im WBK1 geschafft, und noch einige private Baustellen “abgearbeitet”, bis sich durch meine Heirat und weitere Ausbildung unsere Wege trennten… Udo (im Bild rechts ganz rechts, ich links daneben) ist leider schon 1986 verstorben.
Weitere Gruppenmitglieder waren (von links oben):
Rainer K. aus Dessau, Hans S. aus Kemberg, Reiner L.aus dem Anhaltischen. Unten: Der einzige Verheiratete, Joachim H.stammte aus Rodleben / Roßlau, und Jürgen R. kam aus Lindig in Thüringen, Peter T. aus Jahmo in Anhalt.
Bernd T. kam aus Roßleben wurde aber leider nicht abgelichtet. Ebenso Hans-Jürgen B., der bald ins Fahrerlager wechselte, für ihn wurde uns Klaus S. aus Heiligenstadt zugeteilt. Ebenso waren anfangs noch Reinhold A., später Wachkompanie und Günter B., bald versetzt als Ordonanz für den Stab, in unserer Stube. Nicht zu vergessen Wieland P., der einzige den ich kennen lernte, der sich dort nachträglich freiwillig ohne jeden Druck auf 3 Jahre verpflichtete.
Verstanden hat das niemand, aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich!
Er wohnte fortan in der Stube der anderen Unteroffiziere. Ich sehe heute noch seine Rührung, seine Zweifel und Tränen, als wir nach 544 Tagen entlassen wurden. Da musste unser Wieland noch weitere 18 Monate abreißen. Selber Schuld!!!
Unser Zug bestand aus 5 Gruppen, zwei wurden umgehend zu einem geheimen Bauobjekt unter Tage an der F 88 bei Jena beordert. Die Jungs sahen wir erst 2 Tage vor unserer Entlassung wieder. Fast alle waren wir Maurer oder Betonbauer.
In unserer “Kompanie-Baracke” war links des Flures der “1. Zug” unter-gebracht, bestehend aus 3 Gruppen. Hier waren vorrangig Tischler, Zimmerleute und Betonbauer vertreten.
Hinter dem Barackeneingang befanden sich links nacheinander die Wäschekammer, das Hauptfeldwebel-Zimmer, die Unteroffiziers-Stube, dann 3 Mannschafts-Stuben. Am Ende der Klubraum. Rechtsseitig befanden sich zuerst die vergitterte Waffenkammer, dann das Kompaniechef-Zimmer, das Zugführer-Zimmer. Danach die 5 Stuben des “2. Zuges” (zwei waren nur zeitweilig belegt).
Weiter gab es noch eine “3. Baukompanie”, deren Zusammensetzung ebenfalls nur aus Bauarbeitern bestand.
In der 1. Kompanie waren bei unserer Ankunft schon einige bereits ein halbes oder ein Jahr dienende Rekruten anwesend, um stets einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten. Sie bestand aus den Versorgungs- und Instandhaltungs-Zügen, kurz “V-” und “I-Zug” genannt ( also Küche und Fahrerlager).
Ebenso war die 4. Kompanie, das war die Wachkompanie, in geringer Stärke schon besetzt, irgendwer hätte uns bei Flucht ja aufhalten müssen! Sie wurde lediglich mit neuen Wachsoldaten aufgestockt. Die konnten auch sehr bald gut schießen…
Für unseren gesamten, am 4. Mai eingezogenen, Trupp war diese Zusam-mensetzung ein Riesenvorteil. Denn bis auf unsere Vorgesetzten gab es keine weiteren Soldaten. Keine Soldaten im dritten Halbjahr. Wir erlebten also keine schikanierende EK-Bewegung, wie DDR-weit in anderen Einheiten praktiziert und gefürchtet. EKs (Entlassungskandidaten) waren die Soldaten im letzten Diensthalbjahr, die alle “unwürdigen” Arbeiten den jungen Soldaten aufbürdeten, diese auch teilweise quälten. Übergriffe waren dort an der Tagesordnung und oft vom Offizierskorps geduldet. Dadurch kamen anderen Orts auch Soldaten körperlich zu Schaden, einige flüchteten in den Suizid. Das alles blieb uns erspart.
Wohltuend empfand ich den solidarischen Zusammenhalt unserer bunt ge-würfelten Truppe. Über die gesamte Militärzeit gab es nie tiefergehende Streitigkeiten oder Missgunst. Wir waren in unserer Not alle aus einem Kaliber … Im Zweifel in einer Front gegen die Oberen. Eine wirkliche gute Notgemeinschaft.
In meiner Rückschau war dies ein Glücksfall für alle. So wurden während unserer Dienstzeit keine Soldaten durch ihresgleichen schikaniert oder misshandelt. Im Gegenzug waren wir aber dazu verdonnert, die gesamten 544 Tage jede unbequeme Arbeit selbst zu verrichten.
Unser Gruppenführer war bereits im letzten Diensthalbjahr, also auch ein EK. Unterfeldwebel M. war ein abgeklärter ruhiger Typ. Wohl schon um die 25 Jahre alt. Wir konnten es aushalten. Zumindest die ersten 6 Monate. Er hat uns auch hart rangenommen, musste es ja auch, denn er hatte ja auch Befehle zu befolgen, aber Schikanen blieben seinerseits aus.
Bereits in den ersten Tagen erhielten wir den Monatssold. Unsere Bezahlung bestand aus 80.- Mark der DDR. Jeder einzelne Baupionier wurde genötigt, Zeitungen zu abonnieren… die “Junge Welt”, die täglich erschien und die “Volksarmee”, welche wöchentlich kam.
10 Mal dieselben Zeitungen pro Zimmer, Irrsinn, der ins Gesamtbild passte! Wir hatten nun aber immer Toilettenpapier -– war wohl auch der tiefere Sinn, denn Toilettenpapier für Soldaten gab es nie. Dem angepasst lautete unser zweideutiger Spruch: “Die junge Welt ist für´n Arsch!”
Ebenso wurden wir sofort mit Einberufung wieder bei der FDJ (Freie Deutsche Jugend) aktiviert. In die DSF (Deutsch-Sowjetische Freundschaft) “durften” wir auch wieder. Diese, seit unserer Schul- und Lehrzeit bestehenden Mitglied-schaften schliefen in der Regel mit dem Ende der Lehre stillschweigend ein. Das war gängige Praxis in der DDR. Und da wir nun auch noch Solidaritätsmarken (Wert immer 20 Pfennig, wie das damalige Inlands-Briefporto) kaufen mussten, wurden von unserem Geld sogleich etwa 6.- Mark für alles einbehalten. Wir haben diese Spendenmarken (von der Gewerkschaft eingezogen Geldspende für internationale Hilfe), die den Briefmarken teils sehr ähnelten, dann zweckentfremdet oft als Briefporto geklebt. Die Torgauer Post hat das immer mit einem zugedrückten Auge geduldet. Danke Post!
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WBK, Wohnungsbaukombinat. Großer Baubetrieb in Quedlinburg. ↩︎