Ein lauter Pfiff aus der Trillerpfeife und “Kompanie Nachtruhe beenden, raustreten zum Frühsport!” – so tönte Punkt 6:00 Uhr die erste Durchsage am 5. Mai 1970 nach dreieinhalb Stunden Schlaf. Ausschlafen? Fehlanzeige!
Nun begann das 18 monatige Martyrium im Arbeitslager Neiden – Und wir hatten nichts verbrochen!
Nur 4 Tage wurden wir militärisch ausgebildet, dann war die eigentlich 6 Wochen dauernde Grundausbildung schon vorbei und wir mussten arbeiten. Offensichtlich hatte der letzte Neiden-Durchgang nicht alles geschafft. Aber nun war ja neues, dummes Menschenmaterial da. Bis wir alle begriffen und verinnerlichten, wie hier alles so läuft, konnte die Führung am meisten aus uns herausholen.
Unsere Baustelle, also das Armeeobjekt Neiden, war schon größtenteils mit Stacheldraht umzäunt. Das Stahltor, der Einlass zum Armeeobjekt, der sogenannte KDP (Kontrolldienstposten), war nun für uns verschlossen! Mit dem täglichen Frühsport aber war fortan immer ein ganz kleiner “Ausgang” verbunden. Von der Fernverkehrsstraße F182 (der heutigen B182) zwischen Torgau und Wittenberg, ging eine neu erbaute 1.600 m lange Betonstraße links vor der Ortschaft Neiden ab. Unser Frühsport wurde fast ausnahmslos außerhalb, auf dieser, von unseren Vorgängern betonierten, Straße “zelebriert”.
Wenn der Verantwortliche Uffz. (Unteroffizier wenig Lust zum Mitturnen verspürte war ein 3.000m-Lauf angesagt. Das war oft der Fall. Da die gesamte Straße abfallend war, konnte sie bis zur F 182 gut eingesehen werden. Wehe dem, der vor der Wende an dieser Einmündung kehrt machte… Auf diesen Rekruten wartete dann postwendend irgendein Außenrevier zur Reinigung nach Dienstschluss.
So wurde also am ersten NVA-Morgen unser erster Ausbildungstag mit etwa 30 min Frühsport begonnen. Danach wurde wieder eingerückt. Jetzt durften wir uns waschen. Duschen war strikt verboten. Nur nach ausdrücklichem Befehl ging dies in den Anfangswochen. Das warme Wasser lief anfangs auch nur stundenweise.
Das “Pinkel-Wasch-Duschhaus” stand unserer Kompanie direkt gegenüber. Ein primitiver gemauerter Flachbau. Außen nur mit einem blaugrauen Pinselputz versehen… Offensichtlich wurde hier mit Buna-Kalk gemauert und geputzt. Dieser Kalk hat die Eigenschaft, noch Jahre nach seiner Verwendung Karbid-Gestank auszudünsten. Besonders für Feuchträume war er denkbar ungeeignet. Durch den Eingang ging es rechts in einen entsetzlich stinkenden kleinen fensterlosen Raum mit einer schwarz geteerten Pinkelrinne, deren Inhalt durch ein Loch der Wand abfloss. Links herum ging es in den Waschraum mit 3 oder 4 Reihen Kunststein-Waschtrögen. Hier war unsere Morgentoilette zu verrichten.
Die Duschen, mit genau 17 Brauseköpfen an rostigen Rohren, hingen an der Decke in einem seitlichen Verschlag des Waschraums, direkt hinter der Eingangswand bis an den “Pinkelraum” grenzend.
Hier mussten anfänglich innerhalb 15 bis 20 Minuten 70 bis 90 Rekruten einer Kompanie gleichzeitig duschen. Also 5 Mann etwa pro Brausekopf. Es herrschte gleiches Gedränge wie in damaligen Gemüseläden, wenn es Bananen geben sollte… Aus der Dusche kommend war man eventuell sauber, doch hatte dann unter Umständen mehrere blaue Flecke.
Nach dem ersten Duschen wollte niemand mehr, trotz der Enge, im hinteren Teil stehen. Der Pinkelabfluss trat hier nämlich wieder ans Licht und ergoss sich unmittelbar auf den Duschfußboden und plätscherte zu unseren Füßen. Sollte so der gefürchtete Fußpilz verhindert werden? Derjenige der dies projektierte, ebenso die Vorgesetzten die das Gegebene als normal bezeichneten, waren in meinen Augen Schweine, Perverse, Menschen verachtende Fieslinge. Aber Hygiene wurde ja in der Armee des Arbeiter- und Bauernstaates groß geschrieben …
Unnötige Erniedrigungen folgten jetzt Schlag auf Schlag.
Das größte Wunder von Neiden ist, dass hier nie eine ernsthafte Seuche ausbrach!!!
Wohl dem, der die ersten Tage nicht zur Toilette musste. Dem blieb zumindest in dieser Zeit der ekelhafte Anblick und Gestank erspart.
Aber irgendwann trat jeder seinen ersten “Stuhlgang” in Neiden an.
Dazu musste er von unserer Kompanie aus etwa 120m laufen. Dann stand er vor einem Stahlrahmen mit darauf gebauter Klo-Behausung. Das war eine schäbige Bretterbude mit 2 Eingangstüren, welche immer offen standen. Außen mit nackter Dachpappe benagelt, und nun nach langer Benutzung durch unsere Vorgänger schon stark vom Wind zerzaust und verschlissen. Auf jeder Seite 6 Löcher im hölzernen Podest. Mit einer astlöchrigen Zwischenwand. Einsam war hier niemand!
Das störte unsere Offiziere aber kaum, denn die thronten ja auf Porzellan in der Stabsbaracke.
Etwa 400 Rekruten benutzten den Lokus. Nur unserer Kompanie war er aber als Außenrevier zugeteilt, musste also immer von uns nach Dienst gereinigt werden. Immer als Strafarbeit in der Freizeit. 544 lange Tage! …
Keine separaten Türen. Intimsphäre war hier nicht angesagt.
Ein weiteres 10 zylindriges Unikat stand noch auf der Baustelle an den Kasernen- Neubaublöcken. Hier hatte man die Schamwände auch gleich noch eingespart… Ekelhaft und würdelos!
Im Winter war der Toilettengang eine Pein – Wohl dem, der nachts nicht raus musste.
Vierteljährlich wurde ein neues Loch gebaggert und eine Planierraupe zog das von allen nur liebevoll “Scheißhaus” genannte Monstrum 10 m weiter… Man konnte es also auch als Kalender benutzen, 5 mal verrücken und unsere Zeit hier war um.
So schnell kann´s gehen…
Nach dem Frühstück begann nun das bunte Treiben, welches der gemeine Rekrut als Modenschau bezeichnete.
Im 10-Minuten-Takt mussten wir antreten, einrücken, antreten, einrücken und so weiter.
Und jedes Mal in neuer Verkleidung.
Sommerdrillich, in welchem wir sommers arbeiteten, war die angenehmste Kleidung. Darunter musste immer, aber auch immer, lange Unterwäsche getragen werden. Unter jeder Dienstbekleidung! Diesbezügliche Kontrollen fanden unregelmäßig über die gesamte Wehrdienstzeit statt! Nun folgte Winterdienstbekleidung, das war eine alte, bereits von den Vorgängern getragene Ausgangsuniform.
Einrücken. Ausrücken in Kampfanzug mit Rucksack und Gasmaske und allem Krempel den ein deutscher Soldat besitzt, auf keinen Fall das Tragegestell vergessen, denn daran war eine Gamma-Plane befestigt, mit der ich einen Atombombenabwurf überleben sollte.
Bei jedem angenommenen Atombombenabwurf, und davon gab es viele, wurde in den nächsten Tagen solange gebrüllt, bis alle ihre Masken in vorgegebener Zeit auf hatten und die Splinte der Tragegestelle gezogen waren, um die Plane auszurollen, die dann über den Rücken reichend und zwischen den Beinen bammelnd irgendwie zugeknöpft wurde. Nun konnten die Atomstrahlen meine fast jungfräulichen Hoden nicht ruinieren! Mann, was war ich froh…
Traurig wäre aber ein echter Atomangriff gewesen …nur wir Soldaten hätten überlebt! Denn ich habe niemals einen Vorgesetzten wie einen gehbehinderten Elefanten rumlaufen sehen … Die brauchten sich nicht verkleiden. Die brauchten nie üben. Die waren dem Tode geweiht…, denn der 3. Weltkrieg sollte ja gleich beginnen.
Das alles war ganz schlau von Armeegeneral Hoffmann ausgedacht: Er wollte sicher nicht, dass sich schizophrene Vorgesetzte fortpflanzen. Weitsicht hatte unsere Staatsführung … Mit nur einer Atombombe wären alle Probleme gelöst … Donnerwetter!
Wer sich meine Schilderungen mal über den Zeitraum von einer Woche vorstellt, und sich dann im Klaren ist, dass nur einmal in der Woche unsere Unterwäsche getauscht und geduscht werden durfte, der kann sich vorstellen wie “pikant” die Stuben gestunken haben. Jeden Freitag war nach meiner Erinnerung Wäschetausch. Der bezog sich aber nur auf die lange Unterwäsche. Alles andere mussten wir selbst waschen und reinigen. 2 mal saubere Unterwäsche war immer unbenutzt vorrätig im Rucksack und weitere 2 Paar immer im Schrank gestapelt. Es durften also keineswegs 2 mal oder bei Bedarf 3 mal Wäsche pro Woche gewechselt werden. Zusätzlicher Wäschewechsel war nie vorgesehen, war verboten! Man gab also einmal die eigene Unterwäsche ab, bekam am nächsten Tag irgendwelche andere zurück. Niemals wieder seine! Jeder tauscht mit Jedem war kein Gerücht, kein Witz, war bittere Tatsache. Ekelhaft und würdelos. Wir wurden systematisch erniedrigt. Unser Wille sollte offensichtlich gebrochen werden, um bedingungslos zu gehorchen.
Doch nach vielen Monaten tat sich etwas: Aufgrund des hundertfachen Gemeutere wurde “Abhilfe” geschaffen. Jeder Kompanie wurde eine Farbe zugeteilt. Unsere 2. Kompanie erhielt nun orangenes Wäscheband. Jeder von uns bekam davon 10 Abschnitte. Die mussten wir in unsere 5 Unterwäsche-Garnituren einnähen. Selbst in die 2 mal Unterwäsche, die immer im Rucksack vorrätig verpackt war. Wir nähten also 10 Farbstreifen während der Putz- und Flickstunde in unsere Wäscheteile. Wir hätten ja auch sonst nichts zu tun gehabt… Im Stab war man ganz stolz. Die Hygiene war verbessert worden. Nun konnte in der Wäscherei alles nach Farben sortiert werden. So brauchten wir also keine Teile der 3. oder der Wachkompanie mehr tragen. Kurz gesagt, die 2. Kompanie tauschte nun zwangsläufig nur noch untereinander. Zottmann mit Schneider, Lehmann mit Müller oder aber mit… Abartig!