Im Juli / August 1969 beendete ich meine Maurerlehre. Nun konnte endlich das Geldverdienen als Geselle beginnen…
Doch es schwang immer die Angst des plötzlichen Versiegens meiner ersten richtigen Geldquelle mit, denn bereits im November konnte ich zur NVA einberufen werden. An mir ging aber im Herbst 1969 dieser Kelch vorüber.
Am 27. April, meinem Geburtstag, wurde ich dann mit 19 Jahren zum 4. Mai 1970 einberufen. Trotz allen Übels hatte ich meine zu erwartende Militärzeit noch gut getroffen, ich hatte zwei Sommer und nur einen Winter vor mir.
Als Kanonenfutter (Mot. Schütze) gemustert, wunderte ich mich doch, nun als Baupionier eingezogen zu werden. Als junger Bauarbeiter, vorrangig als Baupionier, meine folgenden 18 Monate Lebenszeit zu verbringen, kam mir dann nicht mehr ganz so tragisch vor. Dass ich mich hierbei gewaltig irrte, bemerkte ich aber bereits am 4. Mai 1970, dem Tag meines Einrückens.
Mein Marschbefehl lautete, bis 14:00 Uhr in der Kaserne Züllsdorf zu erscheinen. Vorgeschrieben war, mit der Deutschen Reichsbahn von Quedlinburg über Leipzig, Torgau nach Falkenberg anzureisen. Dort sollte ein Zug nach Herzberg (Endstation) genommen werden. In Quedlinburg herrschte schon auf dem Bahnsteig 2 dichtes Gedränge. Überall standen neue Rekruten. Viele, sehr viele von ihnen, mussten auch nach Züllsdorf. Uns Neuen erkannte man schon daran, dass bereits einige ihre geliebten langen Haare, die damals sehr in Mode waren, geschnitten hatten und an einer schwarzen Ledertasche mit nur einem Henkel. Die einhenkelige Tasche war geforderte Vorschrift. Ohne schwarze Tasche sollte es fortan keinen Urlaub geben. Nicht mal dann, wenn die Tasche zwei Henkel hat. Blödsinnig, aber dies war Fakt in der damaligen Zeit. Fakt war ebenso, dass der Handel höchstens jeden Dritten mit geforderter Tasche beglücken konnte. Die Taschen waren schlicht Mangelware. So hatten die Mütter der bis dahin noch Taschenlosen die sinnvolle “Freizeitbeschäftigung”, Ausschau nach schwarzer einhenkeliger Tasche zu halten, denn auch sie wollten ja ihre Söhne irgendwann in ferner Zukunft wiedersehen!
Nun begann hier frühmorgens auf Gleis 2 die Fahrt ins Ungewisse. Unterwegs war trotz striktem Verbot reichlich Alkohol geflossen. Da meine Begleiter, ebenso wie ich, aber den gesamten Tag bei vollem Bewusstsein erleben wollten, zügelten wir den Bierkonsum und konnten bis in die Nacht hinein alles nur leicht vernebelt in uns aufnehmen.
In Leipzig begannen die ersten Schikanen. Ab hier fuhr die Militärstreife mit. Früher, viel früher, hießen diese Uniformierten mal Kettenhunde, und so benahmen sie sich auch an diesem 4. Mai. Ihr Auftritt verbreitete auf dem Leipziger Kopfbahnhof Angst und Schrecken. Auch später musste ein jeder Soldat aufpassen, nicht in ihre Fänge zu geraten. “Abducken” war angesagt.
Ich erkannte Parallelen zu den Erzählungen meines Vaters aus seiner Kriegszeit. Angetrunkene Wehrpflichtige wurden ausgesondert und der dortigen Schumann-Kaserne Leipzig zur Ausnüchterung zugeführt. Dabei wurde mit diesen Delinquenten keineswegs zimperlich umgegangen. In Leipzig war also auch später immer für uns äußerste Vorsicht geboten.
Als unser Zug in Torgau gegen Mittag einfuhr, wurden die Türen aufgerissen, es wurde sofort nur noch gebrüllt und geschrien. Sicherlich war den Offizieren ein Zug voller gehörloser Jünglinge angekündigt worden!
“Alle Wehrpflichtigen raus!” – Kann uns ja, mit Ziel Herzberg, wenig interessieren, dachten wohl die Meisten. Doch Irrtum, genau wir waren gemeint. Das Militär schluckte uns Stunden früher … Einwände unsererseits waren sinnlos, denn ab nun dachten andere Leute für uns…
“Alle raus, alle auf die W50 (LKWs), es geht sofort weiter nach Züllsdorf!” So wurden etwa 400 neue Rekruten innerhalb weniger Stunden empfangen und nach Züllsdorf in die Annaburger Heide gekarrt. Hier mussten wir mit der dramaturgischen Untermalung hirnrissigen Gebrülls in eine Baracke. Alles Weitere zog sich nun an diesem Tag in eine unendliche Länge…
Da mir aber klar war, dass es sowieso erst in eineinhalb Jahren den Entlassungsschein aus dieser “Irrenanstalt” gibt, mutierte ich sofort zum Schaf und ließ alles über mich ergehen. Und diese Einstellung des inneren Abstands ließ mich vieles 18 Monate lang leichter ertragen …
Nach einer Namenskontrolle und meiner Zuteilung zum “Bau-Pionier-Regiment 2, Bau-Pionier-Bataillon 4, Bau-Pionier-Kompanie 2, 2. Zug, 1. Gruppe”, kletterte ich wieder auf einen W50 und wir alle fuhren zurück durch Torgau, genauer nach Neiden, an den östlichen Rand der Dübener Heide.
Uns empfing eine Baustelle auf freiem Acker. Hier blökten einige pubertäre Vorgesetzte noch dümmer als in Züllsdorf. (wohlgemerkt nicht alle)
“Nackich machen, lange Unterwäsche und den (damals noch) schwarzen (anthrazitfarbenen) Trainingsanzug anziehen, raustreten!”
Auf jedem Bett lagen bereits 5 mal Unterwäsche, 1 Trainingsanzug, 1 Turnhose, 1 Turnhemd, jede Menge lose Schulterstücken, Socken und Fußlappen für die Füße in den Lederstiefeln.
Trotz des uns nicht sonderlich beeindruckenden Geschreis haben wir erst mal die Bude inspiziert … WIR hatten ja Zeit.
Eine ca. 12 m breite und 40 m lange Holzbaracke, die vierte Tür rechts, war nun unsere Unterkunft, nie mein Zuhause.
Unsere Stube: 4,80 m x 4,80 m. Gerade mal 23qm groß, 5 eiserne Doppelstock-Feldbetten mit typisch blau-karierter NVA-Bettwäsche, 5 Spinde, 1 Tisch und 10 Hocker.
Der Knüller waren die 2 weiß getünchten Fensterscheiben! Rausgucken ist also nicht! Übrigens war es das einzige Weiß im ganzen Raum. Die Wände begrüßten uns in stumpfem Grau. Die passende Bemalung für unser folgendes trostloses Dasein… Später wurde uns offeriert, dass wir uns auf Wesentliches konzentrieren sollen. Die Fenster gehörten offensichtlich nicht dazu! Es gab keinerlei Zimmerschmuck, kein Bild, nicht mal von Ulbricht, gar nichts. Und das musste so bleiben! Uns war sogar verboten, im Spind ein persönliches Foto aufzuhängen. Was hatten wir nur verbrochen?
An Betten und Spinden prangte schon unser jeweiliger Name. Mein Bett war das über Udo, in der linken Zimmerecke. Oben sollte es besonders “kuschelig” sein. Oben hält sich der Mief zwar länger als unten… aber, es ist meines Wissens kein einziger Mensch in den vielen Kriegen erstunken, wohl aber erfroren … Warum also aufregen? Ich war Schaf! Und da mein Name mit Z beginnt, war ich schon gewohnt, öfters die Arsch-karte zu ziehen als andere.
Der Enge geschuldet, stand natürlich auch mein Spind vorerst vor der Tür auf dem Flur. Bei einem späteren Wechsel unserer Belegung nutzte ich die Gunst der Stunde und regelte dies durch Austausch der Namensschilder und schon stand auch “mein” Spind im Raum.
So schnell kann´s gehen…
Der Flur war beiderseits mit Spinden zugestellt. Der Gang war dadurch nur noch etwa 100 bis 110 cm breit. Bei späteren Alarmen schubsten sich die Soldaten ungewollt gegenseitig in die Schränke. Es herrschte fürchterliche Enge!
Nun endlich, schon zum wiederholten Male angebrüllt, fanden auch wir uns wieder vor der Kompaniebaracke ein.
“Sie sehen off´n Kopp aus, wie der Bär um de Eier!” mussten sich die meisten von uns noch mehrmals anhören und schon saß man im Klubraum bei einem zivilen Friseur und bekam den NVA-Einheits-Fasson-Schnitt verpasst … ebenso auch alle neuen Soldaten, die schon “geschoren” anreisten. Soviel wie an diesem Tag hat noch nie ein DDR-Friseur zuvor verdient. Von jedem Rekruten 1.- Mark, dem damaligen Fasson-Preis. Solch Haarschnitt dauerte höchstens 3 Minuten. Aus Schikane wurden einige gleich 2 mal zum Friseur geschickt, durften auch 2 mal zahlen. Der Rest der Truppe musste warten.
Als nach ewiger Zeit dieses Prozedere ein Ende fand, saßen wir wieder auf dem LKW. Dann wurde uns das Ziel zum Einkleiden genannt. Spätestens da wusste ich, dass hier einige nicht wissen was sie tun! (Viele sind hier nicht rund gelaufen) Wir fuhren wieder nach Züllsdorf! Geschätzte 24 Kilometer.
Aufgrund der Tatsache, dass die Ausrüstung für alle die gleiche war und die Uniformteile IMMER passten, waren wir schon nach ein paar Stunden fertig. Jedes, auch das kleinste Teil, musste einzeln quittiert werden.
Nun kletterten wir mit dem ganzen Mist, in je einer Zeltplane verpackt, auf den W50.
Eine letzte Fuhre brachte uns wieder nach Torgau / Neiden.
Nach langem unnachgiebigen Gemeutere gab es nun am späten Abend endlich das erste Essen für uns. Die hirnlose Spitze im Stab hatte nicht damit gerechnet, dass 400 Soldaten auch 400 mal Hunger und Durst haben! “Sie sind beim Militär, wann sie Hunger haben, bestimmen wir!”
Und müde waren wir… aber schlafen? Fehlanzeige! Der ganze lose Kram musste noch ordentlich militärisch verstaut werden. Da war es ganz wichtig, im Spind eine “Fahne” bauen zu müssen. Und zwar schwarz der Trainingsanzug, rot die Turnhose und gelb das Turnhemd. Alles schön kantig gefaltet übereinander. Jedes Uniformteil bekam nun noch 2 Schulterklappen angeknöpft.
Die einzige noch gestattete Zivilkleidung waren unsere Schlafanzüge. Es wurde pedantischst kontrolliert, dass auch wirklich jedes private Kleidungsstück, also auch der letzte Slip und jede Socke sofort für die postalische Heimreise verpackt wurde. So war es jedem neuen Rekruten unmöglich gemacht, zivil stiften zu gehen, also sich unerlaubt zu entfernen. Dann erst durfte unsere Stube gegen 2:30 Uhr am 5. Mai das Licht zur Nachtruhe ausschalten.