20. EK-Zeit

“Kompanie stillgestanden, RIECHT euch!” habe ich nie verstanden.1 Das ganze Militär hatte ohnehin seine eigene Duftnote.

Warum Unteroffiziere so blöde Befehle geben, wäre auch mal eine Diplomarbeit wert. Warum konnte in der NVA, der Armee der Werktätigen, nie normal gesprochen werden? Ohne Brüllen und dafür aber deutlich, wegen mir auch sächsisch, wäre bestimmt für alle erträglicher gewesen. Wir RIECHTEN uns also wieder. “Augen gerade aus!” Ein langes Jahr schon hatten wir “abgerissen”. Nun endlich wieder eine Hürde, die genommen wurde.

Es war unser EK-Appell. Es hagelte nur so Beförderungen. Fast alle wurden nun Gefreite. Der Vorteil war, dass ab sofort 10.- Mark mehr in der Lohntüte steckten. Der Nachteil, es folgte umgehend eine Putz- und Flickstunde, denn alle Schulterstücken an allen Uniformteilen mussten erneuert werden. Wegen dieser kleinen silbernen Streifen.

Soldat T. aus unserer Stube hatte sofort Freizeit! Er brauchte nichts wechseln. Den haben die Oberen einfach vergessen. Peter wurde nicht befördert. Es gab aber keinen Grund dafür. Er war nie der Beste, auch nie der Schlechteste, nie ein Aufwiegler, er war lediglich ganzer Durchschnitt. Wir haben bis zum letzten Tag gerätselt warum das so war, wir kamen zu keinem erschöpfenden Ergebnis, außer: Reine Schikane.

Für Peter war es eine hundsgemeine Erniedrigung. Pfui Teufel… Sie wollten unter uns sicher nur Neid, Misstrauen und Unruhe stiften, gelang ihnen aber niemals. Sie begriffen aber nicht, wie sehr sie damit den Einzelnen verletzten.

Das Schulterstück war für uns alle mehr als die 10.- Mark wert. Es zeigte Eingeweihten, dass man EK war und es bescherte einem ruhigere Bahnfahrten während des Urlaubs. Denn EKs aus fremden Einheiten drangsalierten einzelne einfache Soldaten so manches Mal auch in den Reichsbahnabteilen, besonders im angetrunkenem Zustand … Einen Gefreiten, egal woher, dumm anzuquatschen aber war tabu!

Während des letzten halben Jahres gab es große Veränderungen. Der erste Kasernenblock wurde durch uns fertig gestellt. Die Baracke neben uns wurde geräumt. Der V- und I-Zug zogen in die neuen Gemäuer. Nach kurzer Entkernung und Renovierung der alten Unterkunftsbaracke konnte das gehasste Essenszelt endgültig dem Erdboden gleich gemacht werden. Unsere Speisetische und Bänke standen fortan in der Baracke, vor Wind und Wetter geschützt. Die Neuen, die nach uns kämen, hätten keine Eisfinger und keinen Schüttelfrost mehr bei der Essenseinnahme zu leiden … Und die hatten 2 Winter vor sich.

Auf der Rückfahrt von meinem allerletzten Heimaturlaub habe ich einem jungen in Leipzig stationierten Rekruten einen großen Gefallen getan. Ich kannte ihn nicht, lernte ihn erst im Zug von Halle kommend kennen, habe ihn auch nie wieder gesehen, weiß keinen Namen.

Der Mann hatte noch mehrmals Urlaub vor sich und eine recht kurz ausgefallene Ausgangshose. Dem konnte sofort Abhilfe verschafft werden. Im Nachtzug kurz vor Leipzig ließen wir beiden die Hosen runter! Standen nun jeder nur in seiner “kuscheligen” langen Unterhose zwischen normalen Reisenden.

Da hat sich mancher die Augen gerieben. Schwubbdiewupp waren die Hosen gewechselt. Der Junge hatte nun zwar eine schon länger als er gediente Hose an, die hatte aber die optimale Länge. Bei anderer Kleidung hätte ich gemeint es sähe gut aus. Aber es blieb dennoch eine Uniform. Und Uniformen sehen nie gut aus … Kann ich nicht leiden.

Ich war nun auch neu behost. Dann fuhr auch schon der Zug im Hauptbahnhof Leipzig ein. Kurzes Bedanken seinerseits, und der Mann war glücklich verschwunden. Doch auch ich musste raus, umsteigen. Oh Gott, was hatte ich getan? Jetzt erst bemerkte ich, dass mir gut 15 cm an Beinlänge fehlte. Also an der Hose! Hochwasser mit weißer Unterhose, sah eigentlich lustig aus. Ich durfte während der 2 Stunden Aufenthalt nur keiner Streife begegnen. Wir Torgauer Heimkehrer machten es uns nun umgehend in einem schnuckeligen Lokal im 1. Stock bequem. Hier spielten immer live 2 Ungaren auf ihrer Fiedel. Da schmeckte das Bier besonders gut. Es gab dort immer das teurere “Radeberger Export”, seinerzeit eine Rarität.

In Torgau brauchte ich die Hose so gut wie nicht mehr. Da konnte ich mir auch Passendes borgen. Die Hauptsache bei der letzten Abgabe stimmte die Anzahl…

Der größte Knüller des letzten Halbjahres war, dass nun aus Züllsdorf eine komplette Unteroffiziersschule hierher verlegt wurde. So hatte wir doch noch ein wenig Spaß und kosteten die letzten Monate unsere EK-Stellung aus.

Ein Uffz.-Schüler ist in der Rangfolge immer noch mehr als ein Gefreiter. Nur, wissen dies die neuen Schüler? Erstmal nein! Unsere Stunde hatte geschlagen! Die Hierarchie verkehren war nun unsere selbst auferlegte Aufgabe… Wann immer uns ein oder zwei solcher Wichte über den Weg liefen, brüllten wir sie an, ob sie denn das Grüßen nicht beherrschten! Wir ließen sie zurücklaufen und forderten, sie sollten sich sofort mit Meldung des Vorfalls bei ihrem Spieß einfinden… Und einige taten das tatsächlich. Manchmal bestanden wir aber auch nur auf eine Wiederholung eines ordentlichen Grußes.

Bei normalen Soldaten wäre uns dieser Quatsch nie in den Sinn gekommen, doch das hier waren alles freiwillig länger Dienende. Da gab’s kein Mitleid… Lange ging das natürlich nicht gut. Die liefen bald nur noch im Rudel, wer von uns nun nicht verdroschen werden wollte, brauchte lange Beine…


  1. Eigentlich heisst es “richt’ euch”, im Sinne von “ausrichten”. ↩︎

Samstag, Dezember 12, 2009