Meine Erinnerungen sind noch immer frisch, doch fehlt mir für das große Feldlager in Neiden, welches der Generalleutnant Allenstein besuchte, die genaue zeitliche Einordnung. Es war aber im Jahr 1971 und zwar zur Sommerzeit.
Es wurde uns eröffnet, dass ein Feldlager im Bau-Pionier-Bataillon 4 in Neiden stattfinden sollte. Logistisch mussten mehrere hundert Soldaten von den anderen 3 Bataillonen des Regiments 2 in Zelten untergebracht und versorgt werden. Für mich begann eine Traumwoche.
Die Woche zuvor aber war Wahnsinn und “Augsburger Puppenkiste” in einem. Als wichtigste Maßnahme wurde vor dem KDP, also 100m vor dem Wachtor, an der Zubringer-Betonstraße, eine gewaltige Tribüne gebaut. Ähnlich wie bei den alten Pharaonen. Die Pyramide von Gizeh war nur geringfügig höher!
Hier wurden konische Betonstraßenplatten gestapelt, bis wohl auch letzte Vorräte verbraucht waren. Dabei hätte ich wahnsinnig werden können, diese Verschwendung. Wusste ich doch, dass im WBK Quedlinburg diese Platten absolute Mangelware waren … (Was eigentlich nicht?) Oben an die Kante kam Wellblech-Aluminium als todschicke Brüstung, um sogleich von rotem Fahnentuch umschmeichelt zu werden. Hochwohlgeboren sollte sich ja auf “seiner” Tribüne wohl fühlen!
In dieser, von der Baumaßnahme betroffenen Vorwoche wurde ich mit etlichen meiner Kameraden zur Wachkompanie abgestellt.
Wir wurden jeweils für 24 Stunden “vergattert”, also eingeschworen auf unsere Wachaufgaben. 2 Stunden Wache stehen, 2 Stunden Bereitschaft, 2 Stunden Schlaf, und das alles 7 Tage lang. Immer so im Wechsel. Wir sollten Genossen Generalleutnant bewachen. Da stellte sich uns nur das Problem, dass dieser körperlich erst eine Woche später anreiste. Was für eine Steuerverschwendung für einen einzigen … ich wollte schon “Idioten” sagen! (Wie ich heute weiß, “leistete” sich die kleine DDR 377 Generäle und Admirale, da wäre einer weniger wohl nicht tragisch gewesen…)
Wir wachten dennoch, Befehl ist Befehl! Wir bemerkten, dass unsere Vorgesetzten, insbesondere die ekeligen, eine innere Wandlung im Zeitraffer-Tempo vollzogen. Mann, waren die nett und höflich, ja fast freundschaftlich gingen die auf uns zu! Ob das wohl an unserer Bewaffnung lag? 60 Schuss scharfe Munition waren mein Eigen! 30 Schuss im Magazin. Ein weiteres Magazin in der Tasche.
Wir mussten eine volle Woche die gebaute Tribüne bewachen und verteidigen. Niemand hatte mehr Zutritt. So konnte kein Attentats-Sprengstoff platziert werden. Uns wurde wortwörtlich der Befehl zu jeder Vergatterung erteilt: “Jeden, aber auch Jeden, der sich der Tribüne bis auf 5 Meter nähert, wegrotzen!” Ja, diese Ausdrücke waren üblicher Sprachgebrauch für den Schießbefehl. Das war sehr heikel.
Direkt auf der Mittellängsfuge der Betonstraße, unmittelbar neben der Tribüne, wohl keine 6 Meter entfernt, versuchten nun vor unseren Augen erwachsene, gestandene Männer den Stechschritt. Das waren alles die Freiwilligen, die sonst im Stab als Offiziere Dienst taten, schon Bäuche hatten oder von Geburt an krumme Beine. Oder die, die Kompanien führten. Sie alle wollten unbedingt am Vorbeitritt längs der hohen Generalstribüne, einen Blick auf Genossen Generalleutnant Allenstein erhaschend, teilnehmen.
Es wurden aber einige Kandidaten, wie bei einer heutigen TV-Casting-Show, ausgemustert. Die hätten sich lieber am “Institut für komische Gänge” bewerben sollen! Waren zu dumm zum Laufen, durften aber Soldaten schikanieren. Da half auch kein gezogener Schleppsäbel, den einige Figuren trugen. Es war eine Schau der Superlative. Die bewegten sich teils so unförmig wie die an Fäden hängenden Marionetten auf Lummerland (“Augsburger Puppenkiste”).
Eigentlich hatten wir die Macht, den Stabs-Befehl wortwörtlich zu nehmen und alle zu erschießen… Aber vor Lachen hätten wir ohnehin nie getroffen. Ich habe bei 4 Schießübungen insgesamt nur 12 scharfe Schüsse und 3 Platzpatronen abgefeuert. Wohlgemerkt in eineinhalb Jahren. Eine Schützenschnur gab es jedoch nicht, und dann jetzt treffen? Lieber nicht …
Doch folgte jetzt endlich meine Traumwoche:
Ich schrubbte freiwillig 12- Stunden-Schichten während des Feldlagers in der Küche. Das hatte 3 Vorteile:
- Ich brauchte den ganzen militärischen Quatsch nicht mitmachen.
- Ich brauchte zu keiner Generalsschau (habe Allenstein selbst auch nie gesehen und lebe immer noch!)
- Und bekam Sachen zu essen, wovon das DDR-Volk nur träumte.
Ich schleppte kiloweise daumendicke Aale durch die Gegend in meinen Spind. Die war´n alle nur geklaut … Natürlich zur besseren Versorgung der eigenen Gruppe. Es wäre mir zu schade gewesen, wenn die Offiziere die ganzen Aale allein gefressen hätten. Es roch bald etwas streng in unserer Behausung, das war aber mal eine gelungene Überdeckung des Bohnerwachs-Schweiß-Gestanks. Hier hat es ohnehin nie gut gerochen! Man kann sich aber auch schnell an Aal überfuttern – nicht nur an Hähnchen… Später wurden noch Weintrauben in unseren Erdbunker, in welchem die Küchenvorräte lagerten, geliefert. Schnell mal die Tür zu und 4 Mann haben im Stockdunkeln 2 Stiegen Trauben verschlungen. Das waren gute Tage … (von den Magenschmerzen mal abgesehen)