Zwischen dem 12. und 18. Oktober 1970 fand auf dem Territorium der DDR das Manöver “Waffenbrüderschaft” der Warschauer Vertrags-Staaten statt. Daran nahmen 73.500 Soldaten teil; 41.000 waren NVA-Soldaten, der Rest kam aus Polen, der UdSSR und den anderen Warschauer-Vertrags-Staaten. Wir waren am Manöver nur indirekt beteiligt, hatten unter voller Bewaffnung zu bauen und den Standort zu verteidigen. Die Maschinenpistole musste nun sogar wieder beim Mauern und Putzen getragen werden! Es waren knüppelharte Tage mit unendlich langen Arbeitszeiten und der schon beschriebenen Dauerbeschallung. Durch die stete Feuchtigkeit setzten unsere Flinten leicht Flugrost an. Eine leichte ganz schwache Rötung reichte aber, um uns dann noch zusätzlich mit Waffenreinigung zu belästigen.
Bei den folgenden täglichen Politinstruktionen wurden wir hinter vorgehaltener Hand in Kenntnis gesetzt, dass während des Manövers bei Dommitzsch tragischer Weise 5 polnische Panzersoldaten beim Durchqueren der Elbe im Panzer ertranken.
Was war da, gegen deren Schicksal, schon unser schwerer Dienst? Eine Lappalie!
In unmittelbarer Nähe 5 tote Soldaten, 5 sinnlose Tote! Genau wie die insgesamt 3 toten Baupioniere, die laut Aussage unserer Vorgesetzten im Durchgang vor uns auf unserer Baustelle bei 2 verschiedenen Unfällen starben … 0,666% Sterberate in einem Durchgang! Im Kriegsfall wäre sie höher… Makaber! Schön, dass gerade Frieden war…
Solche Tragödien wurden dann im Politunterricht verarbeitet. Über den Sinn des Soldatseins wurde dann jedoch nicht philosophiert.
Unser Politoffizier Greul aus Aschersleben (mit Dienstgrad nur Unterfeldwebel) und oftmals unser, im Großen und Ganzen geachteter, Zugführer Unterleutnant Genscher führten die Schulungen und Gespräche.
Oft wurde auch unsererseits provoziert, um die Genossen Offiziere aus der Reserve zu locken. Es kam aber auch mancher Lacher völlig ungewollt. So besprachen wir beispielsweise die DDR-Geschichte mit all ihren negativen Begleiterscheinungen. Es kam irgendwann das Gespräch auf den “Leipziger Gammler-Aufstand” von 1965. Ich hatte wohlbehütet, wie ich war, noch nie davon gehört. Unser kleiner Unterleutnant Peter Genscher fragte einen Leipziger: “Na, Genosse Mannt, wie war denn das damals beim Gammler-Aufstand?” – “Nass gespritzt ham'se uns, die Schweine!” Wir haben uns fast tot gelacht über die empörte Antwort von Michael Mannt. Der Politunterricht wurde kurzzeitig ausgesetzt. Es gab also auch schöne Momente …
(Zur Erklärung: Der “Gammler-Aufstand” war die Umschreibung für die Aus-einandersetzungen mit, meist langhaarigen, Jugendlichen in Leipzig am 31. Oktober 1965, die gegen Auftrittsverbote von Beatgruppen protestierten. Einen Monat zuvor wurde durch das Zentralkomitee der SED in der DDR das Abspielen von westlicher Beatmusik weitestgehend verboten. E. Honecker nutzte W. Ulbrichts Abwesenheit durch Urlaub, um diesen vor vollendete Tatsachen zu stellen. Er war federführend u.a. am Auftrittsverbot der DDR-Kultgruppe Renft (“Butlers”) beteiligt. Das kam einem Berufsverbot gleich und löste die Jugendproteste aus. Niemand wollte sich die Beatmusik verbieten lassen. An diesem Oktobertag gab es in Leipzig massenhaft Festnahmen. 264 Zuführungen wurden gezählt und in sofortigen Schauprozessen wurden 107 Jugendliche zu mehrwöchigem Arbeitslager im Braunkohlerevier Regis-Breitingen verurteilt. Weihnachten 1965 waren auch die letzten wieder frei.)
Ebenso wurden beim Politunterricht die heroischen Großtaten der sowjetischen Kosmonauten glorifiziert (die Amerikaner waren damals bereits mehrmals auf dem Mond gelandet). So wurde in 1971 die gerade gestartete sowjetische “Sojus 11”-Mission gelobt, die aber “lediglich” um die Erde flog und wir wurden nach unserer Meinung befragt. Eine provozierende Antwort lautete, sie müssten erst mal wieder landen, dann sehen wir weiter… Makaber dann das Ende: “Sojus 11” ist später weich gelandet, war aber nicht hermetisch abgeschottet und so saßen alle 3 Kosmonauten, Dobrowolski, Wolkow und Pazajew, erstickt in ihrer Landekapsel…