13. Chorgründung

Irgendein Mensch im Stab, es kann auch ein Offizier gewesen sein, hatte eine glorreiche Eingebung (unter Umständen war’s aber auch nur eine Anweisung aus dem Regimentsstab):

Die 1. Kompanie gründet irgendwas, ich weiß nicht mehr was (Alzheimer lässt grüßen!). Die 2. Kompanie (also wir) gründet einen Soldatenchor und die 3. Kompanie stellt einen Singe-Klub auf.

Stunden später wurde uns das per Befehl mitgeteilt! Ein weiterer kluger Mann hatte dann noch die Idee, für unseren Chor einen Profi zu engagieren. So kam es, dass der wirklich perfekte Chorleiter namens Liga gefunden wurde.

SED-Genosse Liga, geschätztes damaliges Alter 50 bis 60 Jahre, war der Klubhausleiter in Torgau. Er leitete bereits einen Chor in besagter Stadt. Das berüchtigte Zuchthaus Torgau (Fort Zinna) stellte diesen Chor. Allerdings trällerten dort nur die Wärter. Herr Liga kam irgendwann zu angesagter Zeit während unseres zweiten Diensthalbjahres in unsere Kompanie. Jetzt musste ihm vorgesungen werden. Erst gruppenweise, dann immer einsamer. Ach was hat mich unmusikalischen Menschen das genervt. Gott sei Dank half es nichts. Befehl ist Befehl! Ich sang auch und wurde nach meiner Gesangsdarbietung noch nicht einmal ausgemustert. Ein Riesenglück für mich, wie sich noch zeigen sollte!

Herr Liga verteilte fortan emsig Text- und Notenblätter. So erfuhr auch ich, warum die russischen Soldaten an der Wolokolamsker Chaussee lagen und fühlte die große Melancholie der getragenen sowjetischen Soldatenlieder.

Oder bekam Einblick in Verdis Oper “Nabucco”, passend für uns der Text des Gefangenenchores: “Fliegt, Gedanken, von Sehnsucht getragen, hin zur Heimat, wo glücklich wir waren…” Es gibt verschiedene deutsche Textfassungen, doch diese, die Herr Liga auswählte, war wohl die melancholischste, genau auf unsere Gemütsverfassung zugeschnitten. Wir identifizierten uns damit. Und dem, der nach persönlich widerfahrener Erniedrigung abends dann mit Hingabe den Gefangenenchor sang, dem konnten schon mal die Tränen kullern…

Unser Repertoire stand bald fest, die Umsetzung sollte länger dauern! Sehr schnell erfasste Herr Liga unsere beschissene Situation, ihm haben wir zu verdanken, dass bereits ab dem 3. Mal in Torgau geübt wurde. Nur durch seine Fürsprache wurden wir nun jede (!) Woche zum Zuchthaus Torgau gefahren. Dem gegenüber stand das Kasino des Wachpersonals. Hat aber nichts mit dem Klubhaus zu tun. Hier wurde nun regelmäßig maximal eineinhalb Stunden geübt. Danach liefen wir nur 100 Meter weiter in die nächste Gastwirtschaft und ölten stundenlang unsere kratzigen Stimmbänder. Immer gegen 22:00 Uhr, manchmal auch später, wurden wir vom Einsatzwagen abgeholt. Service wie für feine Pinkel!

Jede Woche geregelter Ausgang, nicht mehr 7 km laufen müssen! Dafür wurde nun, dem Bierkonsum geschuldet, oft der Wehrsold knapp… Aufrichtigen Dank, Herr Liga. Mir bleiben sie immer in wohlwollender Erinnerung. Unser Leben wurde jeden 7. Tag für Stunden erträglicher…

Freitag, Dezember 18, 2009